Seit 1927 kürt die Zeitschrift „Time“ jedes Jahr im Dezember eine „Person des Jahres“ – gewissermaßen als Ehrung dafür, wer im abgelaufenen Jahr die Welt bewegt hat. Rückwirkend liest sich die Liste der Auserwählten bisweilen skurril und doch spiegelt sie stets die zeitgeschichtliche Wahrnehmung wider. 2019 landete eine 16-jährige Schülerin auf dem Cover: Greta Thunberg. Mit den von ihr initiierten Klimastreiks hatte sie die „Fridays for Future“-Bewegung ins Leben gerufen und weltweit eine ganze Generation dazu bewegt, für einen nachhaltigen Lebensstil zu demonstrieren. Ich selbst erinnere mich an eine Kundgebung in Hamburg mit rund 60.000 Menschen. Sicherlich nicht nur Schülerinnen und Schüler, aber trotzdem durfte man sich die Augen reiben: Galten gerade diese nicht fünfzehn Jahre früher noch als völlig desinteressiert am politischen Geschehen und sozialen Entwicklungen? Eine Spaßgeneration, die lieber für neun Euro nach London fliegt, statt sich über Klimaziele Gedanken zu machen?
Tatsächlich sind gesellschaftliche Werte nicht zementiert, sondern verändern sich von Generation zu Generation. Aktuell scheint die Zeit der hemmungslosen Konsumgesellschaft scheint vorüber zu sein. An ihre Stelle tritt das Bewusste, Nachdenkliche. Das einende Verständnis, dass sich große Ziele eben nicht durch die Summe individueller Selbstverwirklichung erreichen lassen, sondern nur gemeinsam. Zusammen. Womit wir beim Thema wären.
Die Corona-Pandemie fügt sich in dieses Bild: Auch sie lässt sich nicht durch Hedonismus bekämpfen, sondern erfordert gegenseitige Achtsamkeit und Verantwortung. Sie bestärkt also moralisches Handeln.
Was aber bedeutet diese Neuausrichtung des Wertekompasses für Marken? Viel, denn immerhin sind sie wesentliche Akteure der Konsumgesellschaft – und bekommen es zu spüren, wenn diese kritisch hinterfragt wird. Wir als Agentur haben diese Zusammenhänge im Rahmen einer Studie untersucht. Diese zeigt, dass ethisches Handeln in einer Welt sich angleichender Produkte längt ein entscheidendes Kriterium für Kaufentscheidungen ist: Konsumenten hinterfragen Produktionsbedingungen oder die Verwendung von Palmöl. Und sie erwarten, dass Marken gesellschaftliche Verantwortung übernehmen: Wenn das Modelabel Patagonia vor Wahlen „Vote the assholes out“ in seine Produkte näht, erntet es von seiner Zielgruppe Applaus. Für Unternehmen, die sich stärker am globalen Mainstream ausrichten, lauern jedoch auch Konflikte: Ein aktuelles Beispiel ist die Entscheidung von Modemarken wie H&M, Adidas oder Nike, nach Berichten über die Unterdrückung von Uiguren keine Baumwolle mehr aus der chinesischen Region Xinjiang zu beziehen. Während die Kundschaft in vielen westlichen Ländern genau diese Konsequenz erwartet, hagelt es aus China nicht nur Kritik, sondern es werden auch Ladenflächen gekündigt und Online-Shops boykottiert. Ausgang? Ungewiss. Und mit der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht die nächste Gewissensentscheidung für Marken vor der Tür.